Schweren Herzens flog ich am 24. April nach Europa, wohlweislich nicht direkt nach Deutschland, sondern zuerst einmal nach Madrid um mich dann langsam Deutschland zu nähern. Ich wurde in eine ganz andere Welt katapultiert. Meine Schwermut hielt nicht lange an, erstens wurde ich von Inma, einer Radfahrerin aus Madrid äusserst nett empfangen, hatten lange Diskussionen über Radfahren und das Leben überhaupt, und zweitens war ich von der Stadt sehr begeisterte. Ich war wirklich erstaunt, dass mir nicht bewusst war, wie schön die Stadt ist, obwohl ich schon einmal hier war. Vielleicht war ich jetzt besonders sensibilisiert dafür, da ich solch prachtvolle Schlösser
alte Häuser und enge Gässchen schon lange nicht mehr gesehen habe.
Von Inma bekam ich eine Wegbeschreibung, wie ich am besten mit dem Fahrrad die Stadt verlasse. Auf rot markierten Fahrradwegen ging es aus der Stadt, durch Parks, auf wenig befahrenen Strecken an Palästen vorbei, wie hier
der Palacio de Aldovea. Es war wahrscheinlich auch die beste Jahreszeit, alles war grün, die Sonne schien und strahlend blauer Himmel.
Als ich mich dann auf dem Single Trail wieder fand,
war ich schon etwas erstaunt. Wenn mich jemand gesehen hätte, hätte er mich sicher für verrückt erklärt, mit dem ganzen Gepäck dort lang zu fahren. Ich hatte ja mittlerweile genug Übung, hatte deswegen keine Bedenken.
Die Wegbeschreibung endete in Alcalá de Henares, einem uralten Ort, Weltkulturerbe, von dem ich noch nie etwas gehört hatte, andere anscheinen schon, es wimmelte von Touristen.
Eines der positiven Seiten wieder zurück in Europa zu sein, war erst einmal der Frühling, alles grünte und blühte, dann die langen Tage. Ich geriet nicht mehr so unter Stress, da es am Abend noch lange hell war, um einen Platz zu finden, wo ich mein Zelt aufstellen konnte.
Am nächsten Tag beschloss ich trotz meiner Aversion gegen grosse Städte durch Guadalajara zu fahren um ein paar Sachen zu besorgen. Und wieder wurde ich mit prachtvollen Bauten belohnt,
wie hier der Palast Infantado, der im 15./16. Jh erbaut wurde, an dem man gut den arabischen Einfluss sehen kann
Langsam hatte ich das Gefühl, ich fahre durch ein riesiges Open Air Museum und verstand meine australischen Freunde, die sehr gerne nach Spanien und Frankreich zum Radfahren kommen. Solch historische Bauten gibt es in Australien, Neuseeland und auch in Südamerika nicht.
Selbst die vielen kleinen Dörfer haben meist eine Kirche aus dem 12. Jh zu bieten.
Was auch zum Genuss durch Spanien zu radeln beigetragen hat, waren die viele Verästelungen des Jakobsweges
Kaum ein Weg der nicht mit der gelben Muschel, dem Wegweiser nach Santiago de Compostella, gekennzeichnet war. Hier fand ich eine Teilstrecke, die in meine Richtung führte und auch gut mit dem Fahrrad machbar war.
Es gibt auch noch in Europa herrliche, einsame Gegenden zum Fahrrad fahren. Es ist allerdings nie so abgelegen, dass man befürchten muss, kein Wasser mehr zu finden oder Proviant für die nächsten Tage mitschleppen muss.
Die ganze Jakobsweg Initiativen haben auch noch einen anderen Vorteil: günstige Übernachtungsmöglichkeiten. Wenn man mal von der Hauptroute von Saint-Jean-Pied-de-Port nach Santiago absieht. Eines Abends kam ich in eine kleine Stadt, in Mitten von Weinbergen und Obstplantagen. Kein guter Platz zum Zelten, darum beschloss ich in dem Ort nach einem Zimmer zu fragen. Die Polizei kam herbei und fragte mich, ob ich auf dem Camino unterwegs sei. Zuerst meinte ich, nicht direkt, worauf der sehr nette Polizist meinte, ich solle einfach „ja“ sagen. Für Pilger werden in dem Ort die Baracken für Saisonarbeiter, Obstpflücker zu Verfügung gestellt. Mit einem „echten“ Pilger aus Barcelona, teilte ich mir die luxuriöse Baracke. Natürlich war sie nicht wirklich so luxuriös, wenn man es allerdings mit dem Zelt vergleicht, ist schon eine Dusche mit heissem Wasser, Herd, Kühlschrank etwas ganz besonderes.
Einer meiner letzten Ziele war Andorra. Diese Berge in den Pyrenäen wollte ich mir einfach antun. Dazu ging es zuerst durch die alten, fast total verlassen Dörfer.
Manchmal hat man wirklich das Gefühl, die Gesamtbevölkerung wohnt in Madrid und den anderen wenigen grösseren Städte in Spanien. Der Rest ist weitgehendst leer.
Manchmal wurde ich gefragt, woher ich komme. Als ich Deutschland sagte, wollten sie kaum glauben, dass ich von Deutschland, nach Spanien mit dem Fahrrad gefahren bin. Dabei habe ich nicht einmal erwähnt, auf welchen „Umwegen“ ich von Deutschland nach Spanien gefahren bin.
Entlang von Flüssen und Seen ging es auf der C-13 in die Berge.
Tiefe Schluchten, vor allem, wo der Fluss gestaut wurde, und leuchtend türkisfarbenes Wasser.
Vor lauter Begeisterung von der Landschaft, fällt einem kaum auf, wie es den Berg hoch geht. Es war Wochenende und wunderbares Wetter. Das nutzten viele Motorradfahrer aus. Ich beschloss eine kleinere Route zu wählten. Der Besitzer des Campingplatzes meinte noch, das wäre zu gefährlich, kleine schmale, kurvige Strassen, da wäre kaum ein Auto unterwegs. Er sah schnell ein, dass das genau das war, was ich wollte und er es nur von der Autofahrerperspektive gesehen hat.
Hier ging es jetzt wirklich den Berg hoch,
durch das kleine Örtchen Boixols. Sehr bemerkenswert, in welcher Abgeschiedenheit hier die Leute leben.
Anscheinend kommen noch andere Fahrradfahrer auf die Idee über den Pass de Boixol zu fahren, sonst wären nicht nach jedem Kilometer diese Hinweisschilder
Man wird ständig über Höhe und % Steigung auf dem Laufenden gehalten. Anscheinend brauchen das die Rennradler. Ich war die einzige die voll beladen die Berge erklommen hat.
Wie fast immer, als Belohnung hat man eine wunderbare Abfahrt.
Nach Andorra hat mein nicht viel Möglichkeiten, ich blieb auf der N14, die am Montag morgen zum Glück nicht mehr so befahren war, wie am Sonntag Abend. Sanft geht es auf dieser Seite hinauf zur Grenze.
In diesem Steuerparadies wird man zuerst mal mit einem Shopping Center an dem anderen empfangen, was im krassen Gegensatz zu der schönen Bergwelt steht. Da mir gerade am Abend vorher mein Kocher kaputt gegangen ist, habe ich doch das eine oder andere von innen angeschaut, ich brauchte unbedingt einen Neuen.
Ziemlich in der Mitte des Minilandes die Stadt Andorra.
Auch vom Konsum geprägt, überhaupt wenn man etwas für den Motorsport möchte, ist man hier an der richtigen Adresse. Sie hat aber auch eine schöne Innenstadt, wo ich das erste Mal seit langem auf viele deutsche Touristen traf, was mir wieder das baldige Ende der Reise bewusst machte.
Nach Andorra Stadt geht es richtig bergauf.
Auch hier wird man stets informiert, wie weit es noch zum Pass ist, wie viele Höhenmeter man noch hoch muss, welche Steigung einen auf dem nächsten Kilometer erwartet.
Recht praktisch, so kann man seine Kräfte gut einteilen. Auch hier kamen nur Rennradler vorbei. Schwer beladen wie ich war, erhielt ich einige anerkennende Bemerkungen von den jungen Burschen. Als Frau in meinem Alter gefällt einem das besonders.
Auch ich erreichte schliesslich den Pass (2408m)
Die Skisaison muss gerade beendet worden sein. In dem riesigen Skigebiet lag noch viel Schnee auf den Pisten.
Hinter dem Pass kommt bald die französische Grenze. Vorher aber noch die Konsumtempel.
Vor allem Zigaretten, Alkohol und Schokolade! Wenn ich gewusst hätte, wie teuer Frankreich ist, hätte ich mich auch etwas besser eingedeckt.
Danach hatte man einen weiten Blick ins Tal. So wie das da hinunter ging, befürchtete ich schon, dass ich dann auch ganz schön wieder nach oben muss. Zuerst einmal genoss ich die ca 37 km hinunter auf ca 800 Höhenmeter in den Badeort Ax-les-Therme. Jetzt war ich schon in Frankreich, das Ende nahte mit jeder Radumdrehung. Bis zum Schluss wollte ich die Reise noch geniessen.
Vorerst wurde ich noch gefordert. Ein Pass jagte den anderen.
Raus aus dem Tal von Ax-les-Therme war es der Höchste
Auch hier wurde einem immer wieder der Lagebericht präsentiert.
Das Wetter machte zum Glück noch mit und der Frühling zeigte sich von seiner schönsten Seite.
Es war schon Spätnachmittag als ich den Col du Chioula erreichte, auf einer kleinen Wiese in einem kleinen Dorf konnte ich mein Zelt aufstellen.
Anstatt einer schönen Abfahrt, wieder Pässe.
Dann auch noch dichter Nebel. Ich habe mir überlegt, wann ich das zum letzten Mal hatte, keine Ahnung. Für mich war es eine typisch europäische Erscheinung.
Die Pässe wurden immer niedriger, manchmal hatten sie kaum diesen Namen verdient.
Auf dem Weg nach Narbonne gelangte ich auf die Route de Cathare. Es war noch hügelig, aber fast auf jedem Hügel befand sich eine Burg, Schloss oder Kloster.
So nah am Mittelmeer, dass nun wirklich alle Berge und Pässe der Vergangenheit angehörten. Vor allem als ich nach Beziers an den Canal de Midi kam,
gönnte ich mir einen Tag „Erholungsradeln“, einfach so am Kanal entlang gondeln hat schon was für sich. Allerdings war ich über die Vielzahl der Radfahrer, vor allem Familien erstaunt. Erst am Tag danach fiel mir auf, es war ja 8. Mai, Feiertag in Frankreich.
Einen Tag kann ich das schon mitmachen, danach brauche ich wieder einsamer, interessantere Strecken, was da unten am Mittelmeer kaum zu finden ist.
Auch hier waren einige Radfahrer unterwegs. Die neu angelegten Radwege und das prima Wetter waren auch zu verlockend.
Eigentlich braucht man gar nicht in die weite Welt fahren, auch hier, in der Camargue gibt es rosa schimmernde Salzseen und Flamingos, die allerdings mehr weiss als rosa sind.
In der mittelalterlichen Stadt Aigues-Mortes war auch die Hölle los. Das angenehme war, die Touristen mussten ihre Autos vor den Stadttoren lassen. Aber auch so bin ich mit dem Fahrrad kaum durchgekommen.
Fast alle der zahlreichen Plätze wurden von den Cafés und Restaurants eingenommen, praktisch jeder Tisch war besetzt, nichts für mich. Unter dem Aspekt lohnt es sich in die weite Welt zu fahren.
Kaum aus der Stadt heraus, traf ich auf das erste Schild für den Fahrradweg der Rhone entlang.
Fantastisch und erstaunlich ruhig konnte man auf neuem Belag dahin fahren. Vor allem war erstaunlich, dass mir nur sehr wenige Radfahrer begegneten. Es dauerte nicht lange, da merkte ich warum. Nach ein paar Kilometer war vorerst Schluss. Ein Radfahrer erklärte mir, dass dieses Teilstück erst seit diesem Jahr fertig ist, wahrscheinlich deswegen noch recht unbekannt.
Dann konnte ich wieder meine eigene Strecke über die Dörfer suchen, was nicht mehr so einfach, aber ruhiger und interessanter war.
Als ich weiter nördlich an die Rhone kam, waren die Feiertage und Wochenende vorbei, ich konnte mich wieder an den teilweise neu angelegten Fahrradwege erfreuen. Manche Abschnitte sind noch nicht fertig, aber bald kann man wahrscheinlich von hier bis an das Mittelmeer nur auf Fahrradwegen fahren.
Nicht immer sind die Strecken angenehm, die Dichte der Kernkraftwerke entlang der Rhone ist sehr hoch.
Die Bemalung der Kühltürme macht es für mich auch nicht angenehmer.
In den idyllischen Abschnitten kann man deren Existenz leicht vergessen und sich an dem Grün der Natur erfreuen, überhaupt wenn jegliche Strassen weit entfernt sind.
Eigentlich dachte ich, ich komme zur Kirschblüte zurück,
war dann nicht enttäuscht, dass die Früchte im Rhonetal schon teilweise reif waren. Das erfreut doch immer wieder, wenn man neben dem Baguette,
was erfrischendes bekommt.
Am 15. Mai wollte ich in Deutschland sein. Mir war klar, dass es mir zeitlich nicht reichte, überhaupt da ich die Fahrt über die Pyrenäen so sehr genossen hatte und ein paar Schlenker gefahren bin. Die Strecke von Strasbourg, nach Lyon bin ich schon so oft gefahren, dass ich es nicht als Verlust ansah, dieses Mal den Zug zu nehmen.
Allerdings habe ich immer einen grossen Bogen um Lyon gemacht. Diesmal sagte ich mir, jetzt war ich in so vielen Millionen Städte, dass ich ruhig auch in die Innenstadt von Lyon fahren kann. Dieser Abschnitte fehlt noch total vom Rhonetalradweg und es wird empfohlen den Zug zu nehmen. Schlimmer als Hongkong oder Manilla wird es schon nicht werden, dachte ich. Tatsächlich war es dann auch ein Klacks. Ein netter älterer Radfahrer zeigte mir auf der Karte genau, wie ich fahren muss. Immer schauen, dass man die Rhone neben sich hat, auch wenn teilweise Autobahnen dazwischen sind.
In meiner letzten Nacht wollte ich unbedingt nochmals zelten, meine Freiheit geniessen, fand dann etwas nördlich am Gestade der Saonne ein uneinsichtiges Plätzchen. Normaler Weise schaue ich, dass ich weiter weg von der Bevölkerung bin, das ging hier nicht und ich war zuversichtlich, dass mir jetzt in der letzten Nacht nichts passieren wird. Dem war dann auch so, ich glaube nicht einmal, dass mich jemand gesehen hat und ich konnte es schön in Ruhe geniessen.
Am nächsten Tag trat ich schweren Herzens meine letzte Etappe an. Zuerst zurück nach Lyon auf den Bahnhof.
Die Zugfahrt war etwas komplizierter, da die TGVs von Lyon nach Strasbourg keine Fahrräder mitnehmen. So musste ich zweimal umsteigen, was die Rückkehr nach Deutschland um ein paar Stunden wenigstens verzögert.
In Strasbourg am Münster dachte ich, schon ein imposantes Gebäude, dafür bin ich aber nicht zurück gekommen. Weiter zum Rhein, auch hier hat sich fahrradmäßig einiges getan, alles viel einfacher als noch vor 20 Jahren.
Deutschland schien sich nicht so sehr über meine Rückkehr zu freuen, der Himmel war total schwarz und ich wartete nur darauf, bis es anfängt zu regnen. Das erleichterte meine Heimkehr auch nicht besonders.
Jetzt umdrehen wäre ja auch blöd, dachte ich und machte mich auf die „Passerelle des Deux Rives“, die Fahrrad und Fußgängerbrücke, die seit der Landesgartenschau die zwei Rheinufer miteinander verbindet.
Auf der Brücke sah ich auf der anderen Seite einige Orte, die in mir nette Erinnerungen mit Freunden wach riefen. Bei aller Trauer um meine verlorene Freiheit und Abenteuer, sehe ich jetzt wieder Freunde und Familie. Zuerst besuchte ich Freunde in Kehl, dann kam meine Schwester und holte mich ab.
Sesshaft möchte ich mich momentan noch nicht werden, brauche noch ein paar Wochen um alles nötige zu regeln, mein Fahrrad und Ausrüstung wieder in Ordnung zu bringen und Vorträge vorzubereiten. Mal sehen, was sich sonst noch Interessantes ergibt.
So, das ist jetzt das
Ende
des Blogs. Zum allerletzten Schluss noch ein paar Fakten:
Dauer: 2 Jahre, 3 Monate, 1 Woche
Länge: 48028km
Platten: keine Ahnung, aber sehr wenige
Unfälle: keine nennenswerten
Weitere Informationen über meine nächsten Vorhaben werden auf meiner Web-Seite „www.dorothee-fleck.com“ bekannt gegeben.